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  • Oh Boy

    By Dorothea Holloway | September 5, 2012

    Wenn ich von einem Film richtig angetan bin, wenn das Drehbuch stimmt, vor allem die Dialoge pfiffig sind, pointiert und zum Zuhören anregen, und wenn die Kamera (Philipp Kirsamer) sowohl wunderbare Close-ups wagt und dann auch wieder Landschafts-und Stadtbilder – Berlin – in Schwarzweiß spendiert, dann schreibe ich richtig gerne, wie zum Beispiel über OH BOY von Jan Ole Gerster (Buch und Regie). Und dazu ein Schauspielensemble aller erster Klasse.

    Etwa 24 Stunden begleiten wir einen jungen Mann, ein wenig ein Aussenseiter, und seinen Freund, einen Schauspieler, durch Berlin. Wir schlendern, nichts scheint geplant, es ergibt sich halt so. Wir besuchen einen Kollegen am Filmset: er spielt einen Offizier in einem Drama aus der Nazizeit. Ja, wird denn so was noch gedreht? Wir “landen” in einem Kellertheater, wo eine Schauspielerin sich am Boden wälzt und schreit. Gerade, weil es so befremdlich ist, möchte ich davon doch mal mehr sehen. Zu Anfang des Films bekommt der junge Mann von seiner Freundin den Laufpass, dann befragt ihn ein Psychologe, er besucht seinen Vater auf dem Golfplatz (grossartig: Ulrich Noethen), wird von U-Bahnkontrolleuren geschnappt und hört die letzten Worte eines alten Mannes ( zum Niederknien: Michael Gwisdek). Es ist ein Schauspielerfilm: alle sind fabelhaft, überzeugend eventuell etwas “überzogen” und platzen vor Spielfreude. Da jedoch der junge Drifter Niko Fischer so bewundernswert zuhören kann und sich nie in den Vordergrund spielt – Bravo, Tom Schilling! – können die jeweiligen Partner in den verschiedenen Kabinettstückchen getrost ein wenig übertreiben.

    Das ist höchst vergnüglich. Bravo: Regie, es ist Jan Ole Gerster’s Spielfilmdebut, Bravo: Schnitt, Anja Siemens. Es ist ein Film von Heute. Das Leben leben, ist kein Gang durch’s Feld. Oh Boy ist unterhaltsam, vergnüglich und ernsthaft.

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    Kurt Maetzig (1911-2012)

    By Dorothea Holloway | August 21, 2012

    Am 8. August 2012 ist Kurt Maetzig gestorben. (1911-2012) Der bedeutende DEFA-Regisseur Kurt Maetzig und Ron waren Freunde.

    Im Jahre 1990 schrieb Ron Holloway in KINO – German Film No:36 über Das Kaninchen bin ich (The Rabbit Is Me) (1965/1989):

    A cause celebre among the dozen DEFA feature films shelved with one sweep of Walter Ulbricht’s hand on the 23rd of January 1966, Kurt Maetzig’s Das Kaninchen bin ich The Rabbit Is Me) was singled out on that day by the GDR party chief in a personally signed editorial published in Neues Deutschland. From then on, the East German shelved films dating from 1965/66 were referred to euphemistically in the German Democratic Republic as “rabbit films.”

    One would naturally suspect that a film gathering dust on a shelf in an archive for a quarter-century will perforce show its age, something like an old horse being finally let out to pasture. But just the opposite was true when the film’s belated premiere was officially celebrated in mid-December at the Academy of Fine Arts in East Berlin. If anything, the events of the last few months, with the mounting revelations of moral indiscretions among the SED Party elite, conveniently paved the way for a ready recognition of the film’s underlining theme.

    Based on Manfred Bieler’s novel, this is the story of 19-year-old Maria, whose brother has been arrested as a student counter-revolutionary (apparently for demonstrating against the erection of the Berlin Wall and the “safeguarding” of GDR borders.) Without anyone else to care  for her save for a kind aunt, and with no chance to study herself at the university, she slips into a compromising relationship with the very judge who has sentenced her brother to prison – and becomes his mistress. Moreover, she is “kept” in a villa retreat out in the country, where her true identity is disguised under the pretense of being a “close family relative.”

    Maria’s misfortune begins when she reluctantly falls in love with her married lover – albeit in hopes of somehow resolving the issue of her brother’s questionable imprisonment, and perhaps one day winning his release. These hopes, however, are shattered when the political realities come crashing in: her lover shows no compunction privately in watering down his principles to advance his career, although always playing the self-righteous in public; her brother returns home to confront Maria with a love affair that, in effect, disgraces the family’s honor; and the final blow is delivered when, in one of the film’s best scenes, the judge’s pays a visit to the country dacha to confront her rival. Kurt Maetzig’s Rabbit, programmed along with a half-dozen other “rabbit films” at the Berlinale (the majority, including this one, in the International Forum of Young Cinema), has set the stage for a vital festival discussion on German/German affairs, past and present, that will surely have its impact abroad at other key film events as well. It also happens to be a fine film, one that has weathered the rigors of time remarkably well.

    Cam: Erich Gusko.  Mus: Reimer Bredemeyer, Gerhard Rosenfeld.  Cast: Angellika Waller (Maria), Alfred Müller (Paul Deister), Ilse Voigt (Aunt Hete), 110 mins., black-and-white, 35 mm.

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    Cannes 65

    By Dorothea Holloway | August 1, 2012

    Jeden Vormittag um 11 Uhr wurde ich im Salle Debussy von drei liebenswürdigen, wunderschönen Damen begrüßt: Malika, Letitia, Isabelle. Es ging um unser aller Sicherheit. Meine Taschen wurden inspiziert.

    Natürlich hatte ich immer KINO – German Film Nr. 103 dabei. „What‘s new in German cinema?“ fragten mich dann die Journalisten aus USA und Kanada und blätterten dann auch gleich im KINO 103, die Ausgabe für Cannes. Da die drei Sicherheitsdamen so ausnehmend freundlich waren, erkundigte ich mich nach ihren Vornamen und gab ihnen auch mein KINO-Heft und sagte, ich sei die Herausgeberin. Am nächsten Vormittag, meine Taschen hatte ich bereits geöffnet, erhoben sich die Damen und sagten im Chor „Bonjour, Dorothea“.

    Der Eröffnungsfilm

    Ein liebenswürdiges Sommermärchen, ein „Pfadfindermovie“ Moonrise Kingdom (USA) von Wes Anderson – er hat sich auch diese grotesk-komödiantische Story ausgedacht – eröffnete heiter-unterhaltsam das Cannes-Festival. Wir tauchen ein in die nostalgische Atmosphäre der 60er Jahre, Neu England, ein Pfadfinderlager mit recht skurrillen Pfadfinderleitern – ganz wunderbar Edward Norton. Für die Welt der Erwachsenen hat Wes Anderson Top-Künstler gewinnen können: Bruce Willis, Harvey Keitel, Bill Murray, der in fast allen Anderson-Filmen dabei ist und Tilda Swinton als „Dame vom Jugendamt“. Sie alle umrahmen eine zauberhafte Liebesgeschichte zweier Jugendlicher: Sam (Jared Gilman) mit mächtiger Pelzmütze und Brille und Suzy (Kara Hayward) mit weißen Kniestrümpfen und Körbchen am Arm, beide 12 Jahre alt. Die Kinderdarsteller haben eine überwältigende Leinwandpräsenz. Wir zittern mit ihnen wenn sie heimlich das Pfadfinderlager verlassen. Die anmutige Suzy hat einen Plattenspieler dabei (60er Jahre) sie legen „Le temps d‘amour“ von Francoise Hardy auf und tanzen miteinander. Unvergesslich, eine magische Sommerliebe mit romantischem Touch und Wes Andersons Stammkameramann Robert Yeonman und Musik von Alexandre Desplat.

    Der weitere Wettbewerb Nach dem heiteren Auftakt folgten auch recht dunkle Beiträge

    Gleich am 2. Tag von Cannes lief ein „Palmen-Film“ Rust and Bone von Jacques Audiard (Frankreich), eine nahezu unglaubliche Romanze zwischen Stephanie – überwältigend verkörpert von Marion Cotillard – und Ali (Matthias Schoenaerts), einem ehemaligen Boxer, der in einer Nachtbar als Rausschmeißer sein Geld verdient. Es liegen Klassen zwischen ihnen. Stephanie sitzt im Rollstuhl, da sie als Trainerin von Killerwalen von den Tieren angegriffen wurde und beide Unterschenkel verlor. Wann sollte man über einen Film ernsthaft nachdenken, fragte ich Ron. Seine Antwort: Wenn man ein Bild oder Szenen sieht, die man so noch nie gesehen hat. Das geschah bei Rust and Bone. Wie Ali die doppelt Amputierte Huckepack ans Meer trägt und behutsam zum Schwimmen ins Wasser gleiten läßt, – das sah ich so noch nie! Marion Cotillard hätte wahrlich eine Palme verdient.

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    Ehrenpreis für Judith Kaufmann

    By Dorothea Holloway | June 19, 2012

    Beim 22. Festivals des Deutschen Kamerapreises wurde Judith Kaufmann der Ehrenpreis verliehen.

    Ron liebte die Kamera-Arbeit von Judith Kaufmann sehr. In KINO – German Film No. 97 und No. 98 steht im Zusammenhang mit Die Fremde by Feo Aldag folgendes: “the film which is perfectly framed by  a master cinematographer Judith Kaufmann.”

    Weiter Informationen: www.kamerapreis.de

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    A Peak of European Cinema. Volker Schlöndorff’s Calm at Sea

    By Wolfgang J. Ruf | April 26, 2012

    André Jung, Harald Schrott, Ulrich Matthes in Volker Schlöndorff's Calm At Sea, courtesy Berlinale/

    André Jung, Harald Schrott, Ulrich Matthes in Volker Schlöndorff's Calm At Sea, courtesy Berlinale

    Already with his first feature film Young Törless, director Volker Schlöndorff gained international attention. His adaption of Robert Musil’s novel won the FIPRESCI Prize at the 1966 Cannes Film Festival, and the young German cineaste, who had collected profound experiences as assistant director of French masters Louis Malle, Alain Resnais and Jean-Pierre Melville was immediately accepted as a head of the New German Cinema. Since then Schlöndorff has realized more than 30 films, among them 26 features. Maybe the most amazing quality of his work is the simultaneity of an always strong personal mark and the great openness about different possibilities to reflect on history and reality.

    These qualities fit very well with his inclination to focus on literature adaptions time after time, and always trying to be faithful to them. At least in Germany, there is no other film maker who adapted such a great variety of literature. In 1975 he polarized audiences, critics and politicians with his film version of Heinrich Böll’s The Lost Honor of Katharina Blum. He filmed in 1979 Günther Grass’ novel The Tin Drum and won an Oscar as well as the Palme d’or at the Cannes Film Festival. He brought works of Heinrich von Kleist, Marcel Proust, Bertolt Brecht (Baal with the then not yet famous R. W. Fassbinder in the lead role), Max Frisch, Nicolas Born and Margaret Atwood, Arthur Miller, Michel Tournier and Éric-Emmanuel Schmitt on the screen. But he also participated in political film projects as Germany in Autumn or covered political events as the formation of Solidarity in Poland with Strike. Obviously his films are expressing always his personal perspective on changing and evolving society. On the occasion of The Legend of Rita (2000), an outstanding film on the German unification, Anthony Oliver Scott, chief film critic of The New York Times, did praise Schlöndorff for “the politically urgent, ethically complex and clear-sighted filmmaking that marks his strongest work.”

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    Vive le Jury! (Teil VI und Schluss)

    By Dorothea Holloway | April 21, 2012

    L’enfant d’en haut

    Kacey Mottet Klein und Léa Seydoux in L’enfant d’en haut von Ursula Meier, courtesy Berlinale / © Roger Arpajou

    Zum Schluss möche ich nicht unerwähnt lassen, was mir bei den meisten Beiträgen aufgefallen ist: die Kameraführung ist hochprofessionell und dem jeweiligen Film absolut dienend. “Film ist Bild,” sagte Ron immer.

    Außer dem Silbernen Bären für die herausragende künstlerische Leistung des Kameramanns Lutz Reitemeier in Bai Lu Yuan (Volksrepublik China 2011) hätte ich noch einige weitere “Kamera-Bären” verleihen mögen. In Bai Lu Yuan, nach dem Historienroman White Dear Plain, gelingt es dem Regisseur Wang Quan’an uns das Schicksal eines Dorfes am Ende des 19. Jahrhunderts – das Kaiserreich geht zu Ende — nahe zu bringen und die Erkenntnis, dass auch der Kommunismus keine Erlösung bringen kann. Wang Quan’an wurde 2007 bei der Berlinale für Tuya’s Hochzeit mit dem Goldenen Bären ausgezeichnet. In KINO – German Film No: 89 von 2007 schrieb Ron u.a.

    “Wang Quan’an’s fiction-documentary Tu ya de hun shi (Tuya’s Marriage) (China) was arwarded the Golden Berlinale Bear. Set in rural Mongolia, the film mirrors the plight of nomadic shepherds whose way of life is threatened by government plans to move them to urban shelters … As fiction-documentary, Tuya’s Marriage owes much to German cinematographer Lutz Reitemeier, whose sweeping images of the steppes underscores the integrity of the story…”

    Über die Lobende Erwähnung (Sonderpreis) für L’Enfant d’en haut (Sister) der Schweizerin Ursula Meier habe ich mich richtig gefreut. In der “reichen” Schweiz bleibt einem halbwüchsigen Knaben nur das “Stehlen” um mit der Schwester Louise (Lea Seydous, sie spielt in Farewell my queen von Benoit Jacquot die Vorleserin) über die Runden zu kommen. Die Beiden wohnen in einem Skigebiet. Der Junge Simon ist ein Meisterdieb. Er weiss, was Mode ist und kennt die Marken. In den Skihotels der Touristen findet er seine Beute: Zubehör für die Sportler und auch Essbares. So sorgt er für sich und seine Schwester. Der zwölfjährige Simon (ganz großartig: Kacey Mottet Klein) ist seiner Schwester von Herzen zugetan. Er sucht ihre Nähe, möchte mal im Bett ihre Wärme spüren. Er bietet Louise dafür 100 Franken, dann 200 — mir bricht das Herz, das geht unter die Haut. Die bewegende Studie über einen Heranwachsenden wurde von Agnes Godard fotographiert, dafür von mir einen Silbernen Bären. Die 14. Marburger Kameragespräche haben kürzlich Agnes Godard ihren Hauptpreis verliehen, Glückwunsch!

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    62nd Berlinale

    By Mario Schulz | April 20, 2012

    Dorothea bat mich über die 62. Internationalen Filmfestspielen Berlin zu schreiben. Einfach war es nicht, trotz Akkreditierung, „Wunschkarten“ zu bekommen. Die Auswahl der Filme war dann doch ziemlich gemischt.

    Ein Highlight war auf jeden Fall der französisch-schweizerische Film Sister von der Regisseurin Ursula Meier (ihr zweiter Film nach Home 2008). Der Film erzählt die Geschichte des Jungen Simon, sehr überzeugend gespielt von dem 13jährigen Kacey Mottet Klein, und seiner noch jungen Mutter, die sich lieber als seine Schwester sieht. Beide leben in der Schweiz in trostlosen Verhältnissen ohne Eltern. Die Mutter ist völlig überfordert und Simon ist ihr auch egal. Simon fährt jeden Tag mit der Seilbahn hinauf in das Skigebiet, in dem die reichen Touristen Urlaub machen. Er klaut nicht nur deren Essen, sondern auch Brillen und Skier und besonders die teuren Marken, für die er das meiste Geld bekommt. So sichert er seiner Mutter und sich das kleine Einkommen. Es ist zu spüren, dass hinter dem kriminellen Verhalten, der Wunsch nach Nähe und dem Entkommen aus seiner einsamen und trostlosen Welt, steckt. Ursula Meier hat den Film mit sehr viel Feingefühl inszeniert und man darf auf Ihren nächsten sehr gespannt sein.

    Forum

    Die Kälte kroch einem unter die Haut, bei der Dokumentation Winter Nomads aus der Schweiz von Manuel von Stüber. Zwei Schafhirten, drei Esel und 800 Schafe ziehen durch die französische Schweiz. Als ich aus dem Kino kam, hatte ich das Gefühl ich war mit den Schafhirten mitgezogen.

    Panorama Special

    Man kann auch ohne viel Aufwand gute Filme drehen! Glaube, Liebe, Tod von und mit Peter Kern (Österreich) und weiteren zwei Darstellern. Eine Mutter, ein Sohn (Peter Kern) und ein blinder Passagier auf einem Hausboot.

    Mir ist noch ein älterer Film mit Peter Kern gut in Erinnerung. Flammende Herzen (1978) von Walter Bockmayer und Ralf Bührmann.

    Man darf auf die 63. Berlinale 2013 gespannt sein.

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    Vive le Jury! (V)

    By Dorothea Holloway | April 18, 2012

    Alamode Film/Jakub Bejnarowicz

    Birgit Minichmayr in Matthias Glasners Gnade, courtesy Alamode Film/Jakub Bejnarowicz

    Auch Matthias Glasner konnte bei seinem Wettbewerbsbeitrag Gnade (Mercy) mit wunderbaren Schauspielern arbeiten.

    Ingenieur Niels (Jürgen Vogel) hat im norwegischen Hammerfest am Polarmeer, der nördlichsten Stadt Europas, eine gut bezahlte Stellung in einer wichtigen Industrieanlage gefunden, und seine Frau Maria, gelernte Krankenschwester, kann hoch im Norden in einem Sterbehospiz Dienst tun. Zusammen mit dem halbwüchsigen Sohn Markus wollen die Drei einen neuen Lebensentwurf versuchen. (Die Eheleute hatten sich nicht mehr viel zu sagen.)

    Die lange Polarnacht – von Ende November bis Ende Januar erreicht die Sonne nicht den Horizont und es herrscht eine magische Dämmerung – hat Kameramann Jakub Bejnarowitz atemberaubend fotografiert.

    Nach einer Doppelschicht mit Schwerkranken prallt Maria auf der Heimfahrt mit dem Auto an einen Gegenstand, hält: wir hören nichts, sehen nichts, nur Schnee und Eiswüste in der Dämmerung. Maria fährt weiter. Aber – sie hat ein Mädchen angefahren, das stirbt. Maria stellt sich nicht. Gerade wie Birgit Minichmayr ihre Maria bisher “angelegt” hatte, verstehe ich nicht, dass sie sich nicht zu der Tat bekennt.

    Oder ist das gerade die Stärke des Films? Niels jedenfalls, ihm hat sie alles gestanden, steht zu seiner Frau, – während Sohn Markus nur so am Rande in die bedrückenden Geschnisse einbezogen wird. Das wäre in der Lindenstraße nicht passiert. Das ist nicht bösartig gemeint. Ich bin halt Lindenstrassen-Fan, insbesondere ihrer Dramaturgie.

    Vielleicht könnte Matthias Glasner einmal versuchen, dass Bundespräsident Joachim Gauck sich Zeit nimmt, um Gnade anzusehen und dann mit uns über Schuld und Sühne zu diskutieren.

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    Mut zum eigenen Leben – Berlinale-Sektion “Generation”

    By Manfred Hobsch | April 17, 2012

    Seit 35 Jahren zeigt die Berlinale Filme für Kinder, was 1978 noch mit medienpädagogischem Ansatz begann, hat sich zu einer eigenständigen Sektion entwickelt: Zuerst hieß die Reihe „Kino für Leute ab sechs“, dann „KinderFilmFest“ und 2007 wurde sie in „Generation“ umbenannt.

    Unter dem Dach von „Generation“ gibt es mit „kplus“ nicht nur Filme für Kinder zu sehen, denn 2004 wurde die Sektion um den Jugendfilmwettbewerb „14plus“ ergänzt. Im Lauf der Jahrzehnte wurde das Leitungspersonal mehrfach ausgewechselt, in den Auswahlgremien waren die unterschiedlichsten Schauspieler, Regisseure, Journalisten und Pädagogen vertreten – und doch gibt es mindestens zwei Dinge, die die Geschichte des Kinderfilms und der Berlinale begleiten: Zum einen die Frage, was eigentlich ein Kinderfilm ist, zum anderen die geringe Beteiligung des deutschen Films.

    Gleich in zwei Podiumsgesprächen im Rahmen des Festivals 2012 wurde um die Frage nach dem „guten“ und dem „richtigen“ Kinderfilm gerungen: Der Förderverein Deutscher Kinderfilm stellte sich in Kooperation mit der Deutschen Filmakademie der Frage „Was ist ein guter Kinderfilm“ und die Sektion „Generation“ setzte auf das provozierende Motto „Dies ist kein Kinderfilm“, denn in den Jahren zuvor war die Auswahl der Kinderfilme massiv in die Kritik geraten. Genauso schwer wie die Definition des Begriffs Kinderfilm fällt, ist auch immer die Entscheidung, was Kindern mit einem Film zugemutet werden kann. An Mut hat es in dieser Sektion jedenfalls niemals gemangelt, Ambitionen waren stets gewichtiger als naiv-niedliche Unterhaltung. Und so haben Werke, die sich thematisch und formal mit der Erfahrungswelt von Kindern oder Jugendlichen beschäftigen, einen festen Platz im Programm, auch wenn sie ursprünglich von Filmemachern und Produzenten gar nicht als Kinder- und Jugendfilm gedacht waren.

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    Schilf – Alles, was denkbar ist, existiert.

    By Dorothea Holloway | April 16, 2012

    Ein dringendes Gespräch zwischen Oskar (Stipe Erceg) und Sebastian (Mark Waschke) in Schilf, courtesy X-Verleih

    Ein dringendes Gespräch zwischen Oskar (Stipe Erceg) und Sebastian (Mark Waschke) in Schilf, courtesy X-Verleih

    Die Verfilmung des Romanbestsellers von Juli Zeh in der Regie von Claudia Lehmann (Buch Claudia Lehmann und Leonie Terfort).

    Der Physikprofessor Sebastian Wittich (Mark Waschke ist einfach fabelhaft, eine Idealbesetzung), erklärt seinen Studenten die Viele-Welten-Theorie, von der er voller Leidenschaft überzeugt ist. Der Grundlagenforscher Oskar Hoyer (Stipe Erceg – see KINO No:102, Hell) “stört” diese letzte Vorlesung vor den Semesterferien; jedoch es ist nur ein Scherz unter alten Studienfreunden. Zwischen Sebastian und Oskar entwickelte sich eine lebenslange Männerfreundschaft. Beide vertreten im Fernsehen in einem Wissenschaftsmagazin ihre verschiedenen Standpunkte.

    Bis dahin habe ich von Schilf nicht viel verstanden. Die beiden professoralen Freunde sprechen ziemlich schnell, – es wird immer so “weggesprochen” – und die Materie ist mir fast völlig fremd.Vielleicht sollte man in einem Vorspann mit ein paar Sätzen erklären, was ein Paralleluniversum ist.

    Erst als wir auf freier Strecke sind, ein Auto fährt durch eine schöne Landschaft (die Kamera von Manuel Mack ist prima), fängt für mich der Film an. Das Auto fährt Sebastian, der seinen Sohn Nick in ein Ferienlager bringen will. Vorher hat er seine Frau Maike (überzeugend und sympathisch: Bernadette Heerwagen), zum Bahnhof gebracht. Maike wird einen erholsamen Urlaub verbringen, und Sohn Nick wird mit seinen Freunden im Ferienlager rumtoben, während Sebastian dann in Ruhe forschen kann. So hofft er wenigstens. Als er an einer Raststätte aufs Klo muss, Nick muss nicht, bleibt der Junge im Auto, und ist spurlos verschwunden, als Vater Sebastian wieder zurück kommt! Fürchterlich! Er ruft und sucht, rennt hin und her, ist völlig verwirrt. Sebastian versteht die Welt nicht mehr, oder ist er tatsächlich eingetaucht in eine andere Welt!?

    Am Handy  erhält Sebastian die Aufforderung, Ruhe zu bewahren, dann den Befehl “Dabbeling muss weg.” Der Alptraum will nicht enden. Als Sebastian Maike am Bahnhof abholt, seine Frau kommt früher zurück als geplant, steht da wieder der sehr alte Mann, der schon mehrmals plötzlich auf der Bildfläche erschienen ist. Als der seltsame Alte wieder auftaucht, stellt er sich vor: Sein Name ist Schilf.

    Mark Waschke sagt in einem Gespräch: “Der Professor hat sich ganz schön verrannt und dann fliegt ihm diese ganze Parallelwelten-Welt um die Ohren.”

    Zu Schilf, eine Art Psychothriller, gibt es eine lesenswerte Information mit dem Untertitel: Alles, was denkbar ist, existiert. Aus dem Gespräch mit Bernadette Heerwagen möchte ich zitieren:

    Ich glaube auch, dass es vordergründig um die Männerfreundschaft zwischen Sebastian und Oskar geht und dass Maike so etwas wie das dritte Element ist — die Frau, die sich dazwischen gedrängt hat, obwohl sie das eigentlich nie wollte. Sie wollte mit Sebastian zusammen sein und Oskar als Freund haben. Sie hat keine Ahnung von Oskars verborgenen Intentionen. Ich glaube, dass Maike im Film das vermeintliche normale Leben repräsentiert, auch so etwas wie unsere normale Vorstellung von Wahrheit. Es ist allerdings interessant, wie sehr man beim Sehen des Films mit Sebastian mitgeht. Wenn Maike von ihrer Reise zurückkehrt, kehrt mit ihr auch das normale Leben zurück, und man realisiert erst richtig, dass Sebastian in einer Parallelwelt steckt. Von da an gibt es keinerlei Sicherheit mehr.

    Auch für mich ist die Männerfreundschaft ein wichtiger Aspekt des Films und die Vertrautheit zwischen Sebastian und Oskar läßt mich an Don Carlos und Marquis Posa denken.

    Wie gesagt, die Einführung am Anfang war für mich etwas unbefriedigend, aber dann folgt ein spannender Film mit exzellenten Künstlern: Schauspielern, Kameraleuten, Komponisten in einem aufregenden Werk, in dem es um Parallelwelten geht, um Männerfreundschaft und um eine ganz normale Familie: Mutter, Vater, Kind.

    Alles weitere: Schilf im X-Verleih

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