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Berlinale 61
By Dorothea Holloway | March 31, 2011
Ein Auftakt mit politischem Gewicht: Bevor die Internationale Jury vorgestellt wurde, brachte Dieter Kosslick einen leeren Stuhl auf die Bühne mit einem Schild auf dem der Name Jafar Panahi stand. Der iranische Filmemacher, sein Offside wurde 2006 auf der Berlinale mit einem Silbernen Bären ausgezeichnet, ein Mitglied der Jury, durfte sein Land nicht verlassen. Der Stuhl blieb leer bis zum Schluss. Das Werk des Filmmaker of the World war täglich präsent: in den Sektionen der Berlinale liefen seine Filme. Isabella Rossellini, die Jury-Präsidentin, verlas einen offenen Brief von Jafar Panahi, in dem der Künstler u. a. schrieb: “In der Welt eines Filmemachers fließen Traum und Realität ineinander. Der Filmemacher nutzt die Wirklichkeit als Inspirationsquelle, er zeichnet sie in den Farben seiner Vorstellungskraft. Damit schafft er eimen Film, der seine Hoffnungen und Träume in die sichtbare Welt trägt.”
Seit zehn Jahren ist Dieter Kosslick und sein fabelhaftes und so freundliches Team für die Berlinale verantwortlich, und wird vom Publikum geradezu begeistert akzeptiert. Allmorgendlich gibt es lange Schlangen geduldiger Berliner, die manchmal Stunden ausharren, um Kinokarten zu ergattern aus einem Angebot, das oft ernsthafte und politische Themen behandelt. Die Filmfestspiele beleben geradezu den ziemlich tristen Berliner Februar. Das Herzzentrum der Berlinale ist der Potzdamer Platz, wo Dieter Kosslick die Gäste begrüßt und die Filmfans stundenlang auf die Stars aus aller Welt warten. Natürlich gibt es auch Filme über Kultur, über Kunst, über Kulinarik und auch Krimi und Klamauk. Der Europäische Filmmarkt hat sich bestens etabliert; Beki Probst ist zufrieden.
Ich kenne Gäste, die von weither anreisen, um der Retrospektive willen; dieses Jahr war sie Ingmar Bergman gewidmet, oder um das vielseitige Panorama-Programm zu genießen. Die Deutschen lieben den Western! Natürlich ist John Wayn einsame Spitze. Aber was die Coen-Brothers machen ist auch einsame Spitze. Also hatte die Berlinale mit True Grit als Eröffnungsfilm genau “ins Schwarze getroffen”. Als beim Oberhausener Filmfestival 1965 die Retrospektive Der Amerikanische Western 1903-1961 gezeigt wurde, stürmte das Publikum ins Kino. So erfolgreich ist in Oberhausen nie mehr eine Retrospektive gewesen.
Welcher gehörte zu den schönsten Filme? Une Vie de Chat (A Cat in Paris) von Alain Gagnol und Jean-Loup Filicioni in der Sektion Generation Kplus. Fast schwebt der Kater Dino über die Dächer von Paris. Wer da mitschweben dürfte! Auf diesen meisterlichen Animationsfilm hatte mich mein Freund Rolf Giesen aufmerksam gemacht. Gott sei Dank! So klar und fantasievoll gezeichnet ist der Film – fast elegant. Ich fragte ein Kind: “Der Zeichentrickfilm ist lustig und die Geschichte ist spannend,” war die Antwort. Nicht alle Beiträge von Kplus habe ich gesehen. Was ich sah, fand ich sehr gut. Zum Beispiel The Bad Intentions von Rosario Garcia-Montero und The Strongest Man in Holland von Mark de Cloe. Auch in Generation 14plus gab es einen Film, den ich nie vergessen werde: Under The Hawthorn Tree von Zhang Yimou. Seit 1987 als Zhang Yimou in Berlin für sein Rotes Kornfeld mit dem Goldenen Bären ausgezeichnet wurde, liebe ich diesen Regisseur. In Tokio habe ich Zhang Yimou kennen gelernt, er war dort in der Jury mit Ron zusammen; ich durfte Ron nach Tokio begleiten.
Der Wettbewerb der Berlinale wurde mit von JC Chandor, seinem Debut als Spielfilmregisseur, eröffnet. Uns “Unwissende” wird vorgeführt, was so alles in einer Investmentbank an der New Yorker Wall Street an Rätselhaftem und Kuriosem geredet und manipuliert wird, bevor es zur weltweiten Finanzkrise kommt. Zu bewundern sind die Schauspieler, mit welcher Professionalität sie die feinen Broker und die gewieften Händler, die vor allem rechnen können, verkörpern. Alle sind in größter Bredouille, nachdem ein fürchterlicher, strategischer Fehler der Bank entdeckt wird. Es kommt zur nächtlichen Krisensitzung, zu der der Bankchef – Jeremy Irons – mit dem Helikopter eingeflogen wird. Alles hat ein tolles Tempo.
Coriolanus in der Regie von Ralph Fiennes nach William Shakespeare: der Dichter und Schauspieler – eine einmalige Doppelbegabung – hat seine Werke auch – oder vor allem – für Schauspieler geschrieben. Ganz klar also: Wenn Ralph Fiennes – bewundert als Shakespeare-Darsteller – nun als Regisseur den Coriolanus auf die Leinwand bringt, dann übernimmt er auch gleich die tragische Hauprolle. Fiennes – stolz, aufbrausend, hochmütig – ist grandios als Caius Martius, dem für seine Tapferkeit beim Kampf um die Stadt Corioli, der Heldenname Coriolianus verliehen wurde. Das Ensemble in diesem Rom-Drama ist Weltklasse. Um nur zwei Schauspieler zu nennen: Gerard Butler als Tullus Aufidius, der Gegner von Coriolanus, und Vanessa Redgrave als Volumnia, Coriolanus’ Mutter. Ein Volksaufstand – die Menschen leiden Hunger – wird mit kriegerischer Brutalität niedergeschlagen. Die brisante Parallele zu heute wird evident. Das ist auch die Intention des Schauspieler/Regisseurs Ralph Fiennes. Coriolanus hat deutsche Untertitel, die ich anfangs brav mitgelesen habe. Ich Narr! Nach wenigen Minuten konzentrierte ich mich, der Sprache Shakespeares lauschend – von grandiosen Könnern hochmeisterlich gesprochen.
Entwicklungshilfe? Hat diese Hilfe wirklich Gutes vermocht? Was weiß ich von Afrika? Und nun wird im Wettbewerb Schlafkrankheit von Ulrich Köhler gezeigt. Köhler lebte bis er neun Jahre alt war mit seinen Eltern in Zaire, die dort – heute Demokratische Republik Kongo – als Entwicklungshelfer arbeiteten. Als Heranwachsender lebte Köhler nicht in Afrika; er studierte u. a. in Frankreich und Hamburg und machte zwei ausgezeichnete Spielfilme: Bungalow von 2002 (siehe auch KINO 78 von 2003, in dem Ron darüber geschrieben hat) und Montag kommen die Fenster von 2006. Schlafkrankheit hat Köhler nun in Kamerun gedreht zum Teil in der Buschklinik, wo seine Eltern jetzt arbeiten. Der Arzt Ebbo Velten betreute in Kamerun das Projekt Schlafkrankheit, anscheinend mit Erfolg, denn in dem ganzen Krankenhaus gibt es nur noch einen Kranken. Köhler kennt die Szene. Nun soll es wieder nach Deutschland gehen. Aber Ebbo, obwohl es scheint, er ist “burnt out”, will nicht, er kann nicht. Ist er Afrika verfallen? Er ist allein. Frau und Tochter leben in Wetzlar. Die Wohnung ist ausgeräumt. Ebbo telefoniert mit seiner Frau. Er weint, sie kann das nicht sehen. Alex, ein Arzt aus Paris, kommt nach Kamerun ins Buschkrankenhaus. Er soll mal nachsehen, was aus dem Projekt Bekämpfung der Schlafkrankheit geworden ist. Alex scheint genau der Richtige. Seine Eltern stammen aus Kamerun, er ist ein Schwarzer. Aber, aber: Alex ist Franzose durch und durch! Er findet sich im dunklen Kontinent absolut nicht zurecht. Die Fahrt vom Flugplatz zum Krankenhaus in tiefschwarzer Nacht, kein Mond, keine Straßenbeleuchtung … Selbst dem Zuschauer im Kinosessel wird es mulmig. Wie hat die Kamera (Patrick Orth) das so genial eingefangen? Zwei Schicksale von fast rätselhafter Absurdität hat Ulrich Köhler verknüpft: der weiße Europäer bleibt in Afrika “hängen”; der schwarze Franzose kommt in Afrika einfach nicht klar. Fragen über Fragen, und doch habe ich etwas dazu gelernt. Jedenfalls hat Köhler für die beiden Männer überzeugende Darsteller gefunden: Pierre Bokma ist Ebbo Velten und Jean-Christophe Folly ist Alex Nzila. Der Silberne Bär für die Beste Regie wurde Ulrich Köhler für Schlafkrankheit verliehen.
Mit Almanya – Willkommen in Deutschland der Geschwister Yasemin und Nesrin Samdereli ist etwas ganz Seltenes gelungen: die Geschichte einer türkischen Familie in Deutschland ganz heiter zu erzählen, ganz locker, ein bißchen turbulent, auch komisch, und zum Ende nachdenklich und ernst. Im Jahre 1964 wurde in Köln der 1.000.000 Gastarbeiter begrüßt; er bekam ein Moped. Der Mann hinter dem Beschenkten – so wollen es die Schwestern Samdereli – war Hüseyin Yilmaz aus Anatolien. Heute ist er stolzer Patron einer türkischen Großfamilie. Alle hat er zusammengerufen zum gemeinsamen Mahl. Da fragt der sechsjährige Enkel Cenk: “Bin ich nun Türke oder bin ich Deutscher?” Er fragt auf Deutsch, Türkisch hat der Enkel nicht mehr gelernt. Seine Mutter ist Deutsche, sein Vater Türke. Auch Cousine Canan hat ein Problem. Sie ist schwanger. Der Freund ist kein Türke, nicht mal ein Deutscher! Er ist Engländer, na so eine Überraschung! Großmutter strahlt, sie hat endlich einen deutschen Pass. Großvater hat in Anatolien ein Haus gekauft – in Deutschland hat er bereits ein eigenes Haus. Nun hat er die Familie zusammen getrommelt und verkündet, dass alle nun im Kleinbus in die Türkei zuckeln, um das neu erworbene Haus an Ort und Stelle zu bewundern. Die Tafelrunde ist nicht begeisert. Gerade die Jungen möchten neue – moderne – Lebensentwürfe ausprobieren und nicht mehr brauchbare Traditionen vielleicht vergessen machen. Eine wunderbar rührende Szene: Die Eltern wollen den Kindern eine Art Weihnachten gestalten. Der Tannenbaum ist ein kümmerlicher Zweig in einer Flasche, die Geschenke sind nicht verpackt. 2004 war Alles auf Zucker unser Film of the Year (siehe KINO 83 aus dem Jahre 2005). Was dieser fabelhaften Komödie für die deutsch-jüdische Gegenwart leistete, das gelingt den Schwestern Samdereli für das deustch-türkische Zusammenleben.
Schon wieder eine Woche vorbei, die uns nur tragische Nachrichten von der verheerenden Tsunami-Katastrophe in Japan brachte. Ich muss diese schrecklichen Bilder ausblenden, denn ich will von heiteren Bildern berichten: So z. B. vom Kampf der Königinnen, dem hinreißenden Dokumentarfilm von Nicolaus Steiner in Programm von Perspektive Deutsches Kino. Die Königinnen sind Kühe, die nach alter Väter Sitte vor allem in der Süd-Schweiz miteinander kämpfen. Es ist jedoch mehr ein Schubsen und Stoßen, es gibt keine Verletzungen. Die “Kampfkuh”, die zuerst zurückweicht, hat verloren. Die Siegerin wird dann königlich geschmückt und leitet die Herde, wenn’s auf die Alm geht. Die Wettkämpfe – in Schwarz-weiß gedreht (fabelhafte Kamera: Markus Nestroy) – haben also eine tiefere Bedeutung. Nicolaus Steiner beobachtet einen Bauern, der seine Kampfkuh trainiert, begleitet einen jungen Journalisten, der seine erste Reportage zu machen hat, […] Treibens, das zum Volksfest geworden ist und sogar Touristen anzieht – und nicht nur junge Bauern, die nach hübschen Bäuerinnen/Züchterinnen Ausschau halten. Zum Volksfest gehört Musik – und die ist ganz speziell. Schon wegen dieser Jodler, dem Gesang und der Alphörner möchte ich diesen Film gerne noch einmal sehen und hören. Musik: John Gürtler und Jan Miserre. Ich bin gespannt auf die nächste Arbeit von Nicolaus Steiner. Kampf der Königinnen – wohl der heiterste Beitrag der Sektion – wurde von der Filmakademie Baden-Württemberg produziert.
“Das Leben ist kein Gang durchs Feld”, könnte als etwas bittere Erkenntnis das Motto für das durchdachte Programm der Perspektive Deutsches Kino sein. Sicher, Unterhaltsamkeit ist wichtig, aber ich glaube, Linda Söffker und ihrem Team geht es mehr um Aufklärung und Nachdenklichkeit. Was erwartet und wie meistert ein Architekt so in den Dreißigern die Sanierung einer Plattenbausiedlung in einer Thüringer Kleinstadt, wo er als Kind einst selber wohnte? Der Spielfilm Der Preis von Elke Hauck (Regie und Drehbuchmitarbeit) handelt hiervon. Annekatrin Hendel (Regie und Buch) gelingt es mit ihrem Dokumentarfilm Vaterlandsverräter einen “inoffiziellen Mitarbeiter” der DDR-Staatssicherheit zu befragen, der sich nach zwanzig Jahren selbst enttarnt hat. Was gilt: Einmal Stasi, immer Stasi!? der immer noch überzeugte Kommunist (?), ein Schriftsteller um die Siebzig, ist ein Täter – aber auch ein Opfer?
Anna Hepp (Buch, Regie, Kamera und Schnitt) hat für Rotkraut und Blaukraut einen Monat lang zwei Familien mit der Kamera begleitet: eine deutsch-türkische, eine türkisch-deutsche […] bauen zwischen verschiedenen Kulturen. Der Dokumentarfilm (60 Minuten) ist im Ruhrgebiert entstanden, wo es schon immer “Völkervermischung gegeben hat; aus allen Himmelsrichtungen zog es die Menschen an den Rhein und es entstand ein froher Menschenschlag mit robustem Ruhrgebietshumor.” So spricht – und es hat mich tief beeindruckt und ich werde es nie vergessen – Curd Jürgens als “Des Teufels General” in der gleichnamigen Carl-Zuckmayer-Verfilmung zu einem jungen Offizier. Anna Hepp studierte Pädagogik und Philosophie, machte eine Ausbildung zur Fotografin und 2009 ihr Diplom im Bereich Film und Kunst an der Kunsthochschule für Medien Köln. Auf das Poträt Hilmar Hoffmans, an dem sie zur Zeit arbeitet, bin ich gespannt. [ 1979 erschien von Ronald und Dorothea Holloway das Buch O is for Oberhausen – Wege zum Nachbarn.]
Der Spielfilm (85 Minuten) von Dirk Lütter Die Ausbildung hat mich wirklich betroffen gemacht! Da wird ein zwanzigjähriger Azubi vom Chef beauftragt Kollegen zu beobachten und […] zu melden! Der Auszubildende wird also zum Spitzel ausgebildet. Was gibt es für Machenschaften! Ein wichtiger Film, ruhig und unaufgeregt. Nur ich rege mich auf über solche “Ausbildung”.
Fast gebetsmühlenartig wird uns eingetrichtert, dass wir alle älter werden und hinfällig – dass es aber an Pflegekräften fehlen wird. Im Kurzspielfilm Eisblumen von Susan Gordanshekan (Regie und Buch) pflegt ein Illegaler – ein junger Bosnier– eine schwer kranke, deutsche alte Frau.das geht! wir hoffen – aber vergeblich. Sie kommt ins Altenheim, er wird abgeschoben.
Die starken, völlig lamoyanzfreien Dokumentationen dieser Perspektive Deutsches Kino machen nachdenklich. So aber auch mit dem Kurzspielfilm Weißt Du eigentlich, dass ganz viele Blumen blühen im Park von Lothar Herzog sowie mit dem Spielfilm Lollipop Monster von Ziska Riemann (Buch und Regie) in Zusammenarbeit mit Lucy van Org (Buch). Die Freundinnen Ari and Oona versuchen mit ihrem Leben klar zu kommen. Sie taumeln in Ratlosigkeit. Oona melancholisch, Ari superbunt, […] gegenseitig zu helfen. Sie suchen natürlich das Wahre und leiden an der Verlogenheit der Eltern, die überfordert sind. Für die Jungen gibt es keine Vorbilder! Dies sit auch in anderen Filmen ein wichtiges Thema.Mit Recht wurde Julia Brandes für das Kostümbild in Lollipop Monster mit dem Femina-Filmpreis ausgezeichnet.
Wie in Cannes 2010 (siehe KINO 98) waren koreanische Filme auch bei der 61. Berlinale anspruchsvoll vertreten. Zehn Beiträge liefen in Berlin, darunter einer im Wettbewerb: Kommt Regen, kommt Sonnenschein, der zweite Spielfilm von Lee Yon-Ki, dessen beachtliches Erstlingswerk This Charming Girl im Forum gelaufen ist. In letzter Zeit – vor allem in westlichen Gesellschaften – werden in den Filmen oft die Probleme der Dreißig- bis Vierzigjährigen behandelt, die eigentlich alles haben: gute Ausbildung, gute Berufe, gutes Auskommen. Doch das Wichtigste fehlt: der Sinn des lebens. Diese “Ichlinge” sind innerlich leer! Für was können sie sich noch engagieren? Fürs Kochen oder für Tiere: Katzen oder Hunde. Lee Yon-Ki zeigt ein Paar – sie wohnen schön und geräumig –, das sich nichts mehr zu sagen hat. Als sie dann doch einmal den Mund aufmacht, sagt sie ihm ganz leidenschaftslos, dass sie ihn verlassen wird. Draußen regnet es, es regnet — ein Katze läuft ihnen zu. Na, nun haben die beiden etwas Gemeinsames … Fürchterlich; ich kenne auch hier in Deutschland Menschen, die sich mehr um Katzen oder Hunde kümmern als um Menschen. Kommt Regen, kommt Sonnenschein werde ich so schnell nicht vergessen.
So geht es mir auch mit The Future von Miranda July. wieder geht es um ein Paar, so um die fünfunddreißig. Wieder ist eine Katze mit im Spiel: Sie spricht von der Leinwand herab zu den Zuschauern mit der Stimme von Miranda July, die für Buch und Regie verantwortlich zeichnet und auch die weibliche Hauptrolle spielt: Sophie lebt seit einigen Jahren mit Jason (Harmish Linklater) in den gemeinsamen Alltag hinein. Alles fein, alles OK! Oder doch nicht? Jason, Computerfachman, Sophie, Ballettlehrerin — Torschlusspanik! Es muss doch noch etwas geben, bevor wir vierzig sind, dann fünfzig … Also, wie wird die Zukunft sein? The Future. Ein tiefschürfendes Thema mit leichter Hand erzählt von einer Frau. die beinahe alles kann: Sie ist Schauspielerin, Schriftstellerin, Muikerin, führt Regie. 2005 ist Miranda July in Cannes für Me and You and Everone We Know mit dem Preis Caméra d’Or ausgezeichnet worden.
Eine alarmierende Meldung aus Japan: In Fukushima ist der Super-GAU: Störfall Stufe 7 – das ist die gleiche Gefährdungslage wie vor fünfundzwanzig Jahren in Tschernobyl. In Japan tickt eine Zeitbombe.
Im Wettbewerb lief das Drama Innocent Saturday (An einem Samstag) von Alexander Mindadze, de im April 1986 von einem jungen Schlagzeuger, Valerij Kabysh, berichtet, der ein loyaler Parteifunktionär ist. Valerij ist der erste, der in der Nachbarschaft einen Atomreaktor brennen sieht – Tschernobyl! Valerij rennt in die nahegelegene Stadt Prybjat, um die Bevölkerung zu warnen. Aber es ist ja solch ein schöner Sonnabend, Frühling. Ein Freund feiert seine Hochzeit … So soll es gewesen sein. Ein GAU ist nie zu Ende. Es war geplant An einem Samstag zum 25. Jahrestag der Tschernobyl-Katastrophe am 26. April in die Kinos zu bringen. Das Drama sollte auch zu Vorführungen in Schulklassen freigegeben werden.
In Berlin gibt es zwei Ausstellungen, die ich unbedingt erwähnen muss: Im Willy-Brandt-Haus in Kreuzberg Verlorenen Orte – Gebrochene Biographien und in der Heinrich-Böll-Stiftung Die Straße der Enthusiasten. In beiden Ausstellungen geht es um die Katastrophe in Tschernobyl.
Auf dem Achtung Berlin! Festival lief der Kurzfilm von Markus Schwenzel Seven Years of Winter, in dem ein Neunjähriger zum Plündern in die Todeszone von Tschnobyl geschickt wird.
[…] Programms macht, dass ich keinen film auslassen möchte. Ich nenne jetzt lauter Lieblingsfilme: Vor allem Britta Wauers (eine Grimme-Preisträgerin) Dokumentarfilm Im Himmel unter der Erde über den jüdischen Friedhof in Berlin-Weißensee. Wenn Ron Besuch von Freunden aus den USA zu Besuch hatte, ging’s natürlich immer zum Brandenburger Tor, Dann nach Postdam zum Schloss Sanssouci und danach zum Friedhof nach Weißensee.
Als Fan von Rosa von Praunheim habe ich mit Interesse auch auch Traurigkeit seine Doku Die Jungs vom Bahnhof Zoo gesehen. Die Jungs sind jetzt Männer, die noch immer unter den fürchterlichen Erlebnissen leiden, die ihnen als Kinder in diese gefährlichen Subkultur angetan wurden. Zitat: “We früh in die Stricherszene kommt, verliert die beste Zeit seines Lebens.” Was mich so tief betroffen macht, das Thema ist ja nicht Geschichte – es existiert! 16. April 2011: Die Staatsanwaltschaft wirft Berlinern Menschenhandel und sexuelle Ausbeutung von Kindern vor.
Auch anspruchsvolle Porträts hatte Wireland Speck im Panorama. Cyril Tuschi ist tatsächlich der Erste, dem es gelungen ist, Mikhail Khodorkovsky vor der Kamera zu befragen. Der inhaftierte russischen Ex-Oligarchen ist alledings hinter Glas im Gerichtssaal – und bleibt ein rätselhafter Mensch. Er lächelt, scheint ungebrochen. Durch den Fall Khodorkovsky möchte man mehr erfahren – was ist los im Neuen Russland?
Ein absolutes Muss ist der Dokumentarfilm von Elfie Mikesch Mondo Lux – Die Bilderwelt des Werner Schroeter. Das Buch ist ebe von ebenfalls von Mikesch und sie war natürlich auch hinter der Kamera. Die bieden einmaligen Künstler hatten gerade zueinander gefunden, nur Elfie MIkesch konnte Schroeter so feinfühlig beobachten, seine letzten Lebensjahre voller Tatendrang, voller Ideen, voller Intensität. — Kollegen kommen zu Wort und Ausschnitte aus Schroeters Werken belegen seine Einmaligkeit. Werner Schroeter starb am 12 april 2010.
Fukushima wird dauerhaft zur Sperrzone. Tokio will ehemalige Anwohnern das Betreten verbieten.
Der Dokumentarfilm über Rolf Eden von Peter Dörfler (Buch, Regie, Kamera und Schnitt) The Big Eden erhielt im Panorama viel und herzlichen Beifall. Jeder weiß, zumal in Berlin, Rolf Eden ist der l e t z t e, w a h r e, w i r k l i c h e Playboy in Deutschland! Peter Dörfler (gelernter Kamaramann) gelang es, von diesem 81jährigen Lebenskünstler nicht nur ein unterhaltsames, sondern auch ein sehr symphatisches und beeindruckendes Porträt zu entwerfen. Rolf Edens jüdische Familie wandert 1933 nach Haifa aus. 1952 arbeitet Eden in Paris als Kellner, Taxifahrer, als Barpianist. 1957 eröffnet Rolf Eden seinen ersten Jazzclub, den “Old Eden Saloon” in Berlin. Er veranstaltet die erste Misswahl und bekommt auch beim Film zu tun – in ca. dreißig Rollen! Seit 1967 gibt es am Ku’damm das “Big Eden”. In diesem einmaligen Club “trifft sich die Welt”. 2002 verkauft Eden das “Big Eden”. Zur Premiere im Kino International kommt er im schwarzen Rolls-Royce, eine bildschöne Blondine am Arm; die ist jünger als seine Enkelin. Rolf Eden hat sechs Söhne und eine Tochter von sieben Frauen. Seine Präsenz ist beeindruckend. Ich mag ihn – und er mag sich!
Ich war noch nie in Irland, aber ich bin sicher, die Menschen dort würden mir gefallen. So ging es doch auch Heinrich Böll; er schrieb die Erzählung Irisches Tagebuch (1957). In Irland gibt’s noch richtige Originale und Sergant Gerry Boyle – großartig verkörpert mit zerknittertem Gesicht von Brendan Gleeson Er hat so viel “Probleme am Hals”, dass er sich als Provinzpolizist nicht auch noch um einen Toten kümmern kann, der in einer Ferienwohnung gefunden wurde. Aber – da taucht ein FBI-Agent auf, Don Cheadle, so fabelhaft dargestellt wie alle in The Guard in der Regie von John Michael Mc Donagh (Irland/Großbritannien/Argentinien). Er kündigt einen 500-Millionen-Dollar-Drogentransport an. Na, nun geht’s los – und unser Cop wird hellwach! Es ist Ostersonntag.Ich stelle ARD Fernsehen an, um die Tagesschau zu sehen: Da läuft ein deutscher Spielfilm mit Heinz Rühmann. Das schwarze Schaf von1960 in der Regie von Helmut Ashley. Ich bleibe dran. Mein Vorschlag: The Guard undDas schwarze Schaf als spezielles Doppelfeature zu präsentieren. Beides sind Krimikomödien, beide spielen in Irland und die Klasseschauspieler, neben Rühmann u. a. noch Karl Schönböck und Siegfried Lowitz stammen alle aus Irland.
Leiden darf nicht verdrängt werden. In Alabanien kommt es vor, dass Menschen immer noch unter der Blutrache zu leiden haben. Das schildert Joshua Marston in The Forgiveness of Blood. Das macht den Beitrag im Wettbewerb so wichtig. Der US-Filmemacher schrieb das sorgfältig gearbeitete Drehbuch gemeinsam mit dem Albaner Andamion Murataj. Traditionen wie die Blutrache, die sich überlebt haben, ja, die Leben vernichten, sollten im 21.Jahrhundert schnellstens abgeschafft werden!
Ron hat die Dokumentarfilme von Andres Veiel sehr geschätzt. Black Box BRD war für KINO – German Film 76 Film of the Year 2001. Die Spielwütigen (Addicted to Acting) von Andres Veiel war KINO-Documentary Film of the Year (siehe KINO-German Film 83 von 2005). In Wer wenn nicht wir treffen sich Bernward Vesper und Gudrun Ensslin Anfang der Sechziger in Tübingen. Den politischen Aufbruch dieser beiden “Bürgerkinder” verfolgt Veiel dann etwa 10 Jahre. Gudrun verläßt Bernward, “verfällt” Andreas Baader und geht in den bewaffneten Untergrund. Bernward nimmt Drogen, wird krank, schreibt seinen Roman Die Reise, der nicht vollendet wurde. In einer Klinik in Hamburg nimmt sich Bernward Vesper 1971 das Leben. Von Markus Imhoof gibt es nach Motiven dieses Romans den Film Die Reise (The Journey), siehe KINO German-Film Nr.23 von 1986.
Der sehr schöne Film aus Frankreich Tomboy (Buch und Regie: Celine Sciamma) mit der bezaubernden Zoe Heran. Sie ist Laure und Mikael. Der Film lief sowohl im Panorama als auch in Generation Kplus. Und mit Recht. In Tomboy, mehr sensible Komödie als “Problemfilm”, geht es um die Problematik “Bin ich Junge – bin ich Mädchen?” Laure möchte Mikael sein. Es gelingt ihr erstaunlich; sie spielt toll Fußball — a b e r — Ich musste an Rosalinde denken, die sich in Shakespeares Wie es euch gefällt als Ganymed ausgibt.
Nadar and Simin, A Separation von Asghar Faradi. Um über diesen meisterlichen und preisgekrönten Film aus dem Iran zu berichten, kann ich nur wiederholen, was Martin Blaney in “Berlinale Bulletin” (KINO 100, S. 4) schrieb: “The family drama had been a hot favourite for the top honours from the moment of its international premiere in the Competition halfway through the Berlinale. It was warmly received by both critics and audiences.” Nadar und Simin stehen vor dem Scheidungsrichter. Eine alltägliche Geschichte, das geschieht überall auf der Welt. Aber wie Farhadi uns das nahe bringt, warum Simin, die Ehefrau, das Land verlassen will – mit der Tochter – und wie Ehemann Nadar darauf besteht, dass die Tochter bei ihm in Teheran bleibt – denn er will seinen kranken Vater nicht verlassen – das macht uns nachdenklich, mitfühlend und betroffen. Simin zieht aus der gemeinsamen Wohnung in Teheran aus. Nadar engagiert für den Vater die Pflegerin Razieh; sie ist schwanger, braucht Geld. Der Ehemann darf nichts davon wissen. Als Razieh den kranken Mann waschen muss, ruft sie eine Hotline für religiöse Fragen an … Ja, sie darf als weibliche Pflegerin den kranken Mann waschen. Aber es wird noch komplizierter, tragischer. Nadar und Simin kommen aus verschiedenen sozialen Schichten; auch die Weltanschauungen sind also nicht in Einklang zu bringen. Schlimmer noch, man beschimpft sich, man klagt. Wir werden Zeugen eines Dramas und können nicht eingreifen, nicht helfen. Alles ist völlig ohne Effekthascherei, brisant und auch politisch. Seit einiger Zeit kommen aus dem Iran hochgelobte Filme, die Ron immer mit Spannung erwartete.
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