« Strong German presence at 64th Festival del Film Locarno | Home | Film Forum Zadar 2011 »
Weissensee – Hymne an eine außergewöhnliche TV-Serie
By Dorothea Holloway | September 3, 2011
Das habe ich ganz selten erlebt: Ein Film, nicht übliches Format, eine ARD-Miniserie in 6 Folgen, daher auch viele Darsteller, und alle bis hin zu kleinsten Rolle (Schauspielersprech: “Es gibt keine kleinen Rollen, es gibt nur kleine Talente!”) fabelhaft besetzt! Bravo! Eine Seltenheit!
Weissensee, eine Familienserie, die in der DDR spielt. Es sind die 80er Jahre. Es geht also um Menschenschicksale, die sich vor etwa vor 30 Jahren im “anderen Teil Deutschlands” zugetragen haben. Nicht besonders spektakulär, aber absolut der Wirklichkeit, der Wahrheit verpflichtet. Ich weiß, wovon ich rede, bin alt genug und war als “Wessi” oft in der DDR: DOK-Filmfestival in Leipzig, Filmfestival in Karl-Marx-Stadt (heute wieder: Chemnitz), oft in der “Hauptstadt der DDR”, um Kinderfilme für die Berlinale auszusuchen. Außerdem gab es bei Filmfestivals in Oberhausen, Krakau und Moskau Gedankenaustausch unter Kollegen. In Weissensee (Regie: Friedemann Fromm) geht es um zwei Familien. Dunja Hausmann, Lieder-Macherin, ist absolut nicht gegen den Sozialismus, sie möchte nur mehr Freiheit für die Kunst und hofft auf eine “bessere” DDR. Sie ist unverheiratet, hat eine schöne, unbeschwerte Tochter – Julia. In der anderen Familie haben Vater Hans Kupfer, Generalmajor im Ministerium für Staatssicherheit und seine Frau Marlene zwei Söhne: Falk, der Ältere, hochintelligent, ist auch bei der Staatssicherheit und Martin ist bei der Volkspolizei.
Der junge Martin Kupfer verliebt sich nun ausgerechnet in Julia Hausmann. Aber das geht so nicht. Mutter und Tochter werden unter Druck gesetzt. Wie Katrin Sass als Lieder-Macherin Dunja Hausmann nun den Zwiespalt zwischen der Künstlerin als Dissidentin, die überwacht wird, und der Mutter, die dem Glück der Tochter nicht im Wege stehen will, gestaltet, ist zum Niederknien. Hannah Herzsprung als Tochter Julia ist ebenso eindringlich und überzeugend – unvergesslich in Vier Minuten von Chris Kraus. Ich bin gespannt auf Hell, einem Endzeitdrama Tim Fehlbaum, das in Locarno lief.
Kein Klischee stört in diesen 6 Folgen, die auch an das Drama von Romeo und Julia denken lassen. Die Familien sind zu verschieden, stehen sich fern, wenn nicht gar feindlich gegenüber. Gerade Martin Kupfer, Florian Lukas so überzeugend, weil einfach und authentisch, bringt seine Familie in schmerzliche Konflikte.
Nicht erst seit Uwe Kockisch als Commissario Brunetti in der Donna-Leon-Verfilmung brilliert, bin ich ein Fan, sondern nun um so mehr, da ich seinen Stasi-General Hans Kupfer in Weissensee gesehen habe. Das ist ein Mensch mit Verantwortung, der einem System dient, das er für lebenswert hält. Ob es dabei bleiben wird? Weissensee soll ja fortgesetzt werden. Mir fällt Gotthold Ephraim Lessing ein: In Emilia Galotti sagt der Prinz zum Maler Conti:” Der denkende Künstler ist noch eins so viel wert.”
Falk, der ältere Sohn vom Stasi-General, ist Major in derselben Hauptabteilung XX der Stasi wie sein Vater, die vor allem mit Vorgängen in West-Berlin und der Bundesrepublik zu tun hat, zuständig für Kultur, Kirche und systemkritische Persönlichkeiten. Wie Jörg Hartman als Falk Kupfer die zwei Seiten dieses faszinierenden Charakters in der Schwebe hält, ist spannend und bewundernswert. Als Stasi-Major ist Falk ein genialer Beherrscher der Verhörmethoden – nahezu kriminell – und als liebender Vater seines 13-jährigen Sohnes von entwaffnender Fürsorglichkeit. (Wieder Bravo!)
All den Müttern und Frauen, die selbstlos und ohne zu klagen, ihr Leben dem Wohl und Wehe ihrer Familie widmen, hat Ruth Reinecke als Marlene Kupfer ein Denkmal gesetzt. Im Programmheft zu Weissensee schreibt Ruth Reinecke nachdenklich und bewegend über die Marlene Kupfer. Wenige Sätze möchte ich zitieren:
“Marlenes Kraft zu geben, für andere da zu sein, ihre Warmherzigkeit, die Fähigkeit auszugleichen, ihre Duldsamkeit, dieses Familienpflichtbewußtsein mußte ich genau betrachten, um die andere Seite Marlenes […] zu begreifen.”
Mehrere Glücksfälle für Weissensee: Das Buch schrieb Annette Hess, an der Kamera war Michael Wiesweg und Stefan Mertin, Martin Hornung sorgten für die Musik und Stefan Mertin, Mirko Michalzik für die Originalmusik. Auch wenn ich mich wiederhole: Das Weissensee-Ensemble ist ganz großartig! Casting: Heta Mantscheff. Jede Folge eine Sternstunde.
Ende April diesen Jahres zeigte das MoMA – Museum of Modern Art in New York die von Regina Ziegler für ARD produzierte Serie Weissensee. Herzlichen Glückwunsch!
Dorothea Holloway
Topics: Film Reviews, German Film | Comments Off on Weissensee – Hymne an eine außergewöhnliche TV-Serie
Comments are closed.