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    Cannes 64 (Teil 2)

    By Dorothea Holloway | July 1, 2011

    Photo from Aki Karismäki's Le Havre, courtesy Cannes Film Festival

    Photo from Aki Karismäki's Le Havre, courtesy Cannes Film Festival

    Le Havre von Aki Kaurismäki hätte von mir auch eine Palme bekommen. Ron und ich lieben ihn und seine Filme. 1992 schrieb Ron in KINO-German Film Nr. 45 u. a.: “Catch Aki’s latest cult film – La Vie de Bohême – at the International Forum of Young Cinema.” Nach 20 Jahren hat Kaurismäki wieder einen Film in französischer Sprache gedreht (Kamera: Timo Salminen). Ganz begeistert bin ich von Jean-Pierre Darroussin; er ist der Polizeiinspektor, der den aus Afrika stammenden Flüchtlingsjungen Idrissa sucht. André Wilms, er gehört zur “Kaurismäki-Familie”, war bereits bei La Vie de Bohême dabei, ist jetzt der Schriftsteller Marcel Marx, der als Schuhputzer arbeitet, um den Arbeitern am Hafen näher zu sein. Marcel Marx nimmt Idrissa bei sich auf und verhilft diesem zur Weiterreise nach London, wo seine Mutter lebt. Sogar die Polizei drückt ein Auge zu. Aki erzählt uns ein Märchen. Ja, warum denn nicht? Wir brauchen Märchen, die gut ausgehen. Wir haben viel zu wenige davon. Marcel’s Frau ist Kati Outinen, langjähriges Mitglied des Aki-Clans. Sie heißt im Film Arletty. Da muss ich an Marcel Carné denken. Vielleicht ist Children of Paradise auch ein Lieblingsfilm von Kaurismäki! Der FIPRESCI-Preis wurde Aki Kaurismaki für Le Havre verliehen. Bravo Fipresci!

    50 Jahre Semaine de la Critique

    Ein wunderbares Geschenk bekam ich dieses Jahr in Cannes überreicht: Die Publikation 50 Years of Discovery. Stundenlang kann man lesen und blättern in diesem Schatz von einem Buch! Im Editorial berichten u. a. Gilles Jacob, Jean-Christophe Berjon und Thierry Frémaux, wie alles begann. Zitat Eric Garandeau: “La Semaine de la Critique has continued to discover new talent by targeting first and second feature films by filmmakers from all around the world.” Wenn man nur die Namen der Filmemacher liest, über die in den einzelnen Kapiteln berichtet wird, ist es wie ein Gang durchs Paradies der Filme:

    “The Sixties: Bernardo Bertolucci, Philippe Garrel, Jean Eustache, Jerzy Skolimowski, Dusan Makavejev, Sembene Ousmane …
    The Seventies: Denys Arcand, Merzak Allouache, Victor Erice, Ken Loach, Benoit Jacquot …
    The Eighties: John Sayles, Wong Kar-wai, Amos Gitai, Idrissa Quedraogo, Leos Carax …
    The Nineties: Guillermo Del Toro, Arnoud Desplechin, Jacques Audiard, Andrea Arnold, Gaspar Noe . . .
    The Millenium: Ronit Elkabetz, Alejandro Gonzales Inarritu, Bertrand Bonello, KerenYedaya, Julie Bertuccelli …
    La Semaine is still betting on new Talent
    Awards, Directors, Selection-Committees, Acknowledgements and Credits”

    Auch die über 100 Filmbilder bescheren wehmütige und einmalige Erinnerungen – ein wahres Augenglück. Auf Seite 42 berichtet Pierre Murat über Alexei Guerman. Ron Holloway konnte seinen Dokumentarfilm über Alexei Guerman  nicht mehr zu Ende bringen (siehe KINO – German Film Nr. 93 aus dem Jahre 2008). Gregor Sedlag und Barbara Wurm (KINO – German Film-Autorin in Nr. 99) wollen die Dokumentation vollenden. Wir hoffen, dass auch Freunde uns helfen.

    Zum 50-jährigen Jubiläum der Semaine de la Critique lud Jean-Christophe Berjon, Artistic Director, zu einer ganz besonderen Vorstellung ein: My Little Princess von Eva Ionesco, Seance Speciale. Auch Thierry Frémaux ließ es sich nicht nehmen, neben der Regisseurin die Hauptdarstellerin Isabelle Huppert und das Nachwuchstalent Annamaria Vartolomei auf der Bühne zu begrüßen. In My Little Princess verfilmt Eva Ionesco ihre eigene Biographie als kindliches, skandalumwittertes Fotomodell ihrer Mutter. Mit den damals entstanden Bildern wurde sie im Paris der 1970er Jahre über Nacht zur Berühmtheit. Es ist ein spannender, autobiografischer Film mit ganz hervorragenden Schauspielern (Kamera: Jeanne Lapoirie).

    Melancholia von Lars von Trier

    Eine Kaspar-David-Friedrich-Landschaft, mehr Nacht als Tag, nur am Himmel ein faszinierendes Leuchten. “Film ist Bild” habe ich von Ron gelernt. Kameramann Manuel Alberto Claro schuf ein Meisterwerk. Durch den unwirklich-romantischen Schlosspark am Meer galoppiert ein edles schwarzes Ross, Wagners Tristan und Isolde erklingt und eine leuchtend weiße Braut in Kranz und Schleier stolpert durchs Unterholz, Wurzelwerk verfängt sich in ihrem Schleier, zieht sie nieder. Eine Frau mit einem Kind im Arm versinkt mit jedem Schritt tieter und tiefer im Morast eines Golfplatzes. Bedrückende Untergangsstimmung, der Planet Melancholia nähert sich der Erde, das Ende der Welt kündigt sich an.

    Braut und Bräutigam im Auto unterwegs. Sie haben Schwierigkeiten: das Luxus-Auto ist zu lang, der Weg zu schmal. Fast zu spät erreicht das Paar ein prächtiges “Märchen”-Schloss, wo von der rührigen Schwester der Braut eine Luxushochzeit zelebriert wird, überaus stilvoll. Es soll ein rauschendes Fest werden, die Gäste sind vom Feinsten: Charlotte Rampling, (Brautmutter) Kiefer Sutherland (Vater), John Hurt, Stellan Skaarsgard, Udo Kier … Alles könnte so schön sein! Nur, die Braut ist so teilnahmslos, leidet unter Melancholie, so heißt doch auch der Vernichtung bringende Planet. Mehr und mehr wird die wunderschöne Braut von Traurigkeit befallen. Sie ruiniert ihre eigene Hochzeit. Die Gäste verschwinden, der Bräutigam auch. Mischt sich in die unendliche Traurigkeit nicht auch ein undefinierbarer Hochmut? Auf den Gedanken bin ich noch nie gekommen. Wie Kirsten Dunst als Braut Justine diese ständig wachsende Depression, diese eigenartige Trance, die sie umhüllt, erfühlt, gestaltet, erfahrbar macht – ist  einfach zum Niederknien. Alle Schauspieler, die Lars von Trier für sein Melancholia gewinnen konnte, faszinieren, sind virtuos: Charlotte Gainsbourg als Schwester von Justine, Alexander Skaarsgard als Bräutigam. Auch wenn die Astronomen hoffen, der Planet möge an der Erdkugel vorbeischrammen, Justine weiß es besser, sie weiß, das Ende der Welt ist nahe. Nun kann sie der Schwester beistehen. Oder träumt Justine das alles? Für Dancer in the Dark wurde Lars von Trier 2000 die Goldene Palme verliehen. Dieses Jahr wurde Kirsten Dunst als Beste Schauspielerin in Cannes 2011 ausgezeichnet.

    The Artist von Michel Hazanavicius

    Die Auszeichnung als Bester Schauspieler erhielt Jean Dujardin als Stummfilm-Superstar George Valentin in The Artist, einer Huldigung an das Hollywood der 20er Jahre. Valentin tritt mit einem putzigen Cockerspaniel auf, der ihm bedingungslos gehorcht. Alle Tricks gelingen. Wir amüsieren uns köstlich und freuen uns über das brave Hundchen. Im überwiegend ernsten Programm von Cannes ist The Artist ein Juwel der Heiterkeit. Zudem, was nur durch Mimik und Körpersprache – ohne gesprochenes Wort – so präzise “rüberkommt”, ist einfach wunderbar. Dann kommt der Tonfilm. Valentins Partnerin, Berenice Bejo, macht als sprechende Schauspielerin Karriere und der stumme Star verschwindet. Es gibt ein paar unerwartete, höchst vergnügliche Überraschungen. The Artist (Kamera: Guillaume Schiffman) gehörte zu den geliebten Favoriten in Cannes. Bei der Preisverleihung bedankte sich Jean Dujardin mit einem Stepptanz.

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